Es ist an der Zeit einen längst überfälligen Bericht über einen wunderbaren Weinabend nachzuliefern. Unser großzügiger Spender Oskar ist in seinem Keller mal wieder auf Raubzug gegangen, um uns ein gutes Dutzend Flaschen zum Thema spanischer Rotwein zu kredenzen. Dabei sollte es sich zumindest um Reserva-Weine handeln, die vor der Auslieferung mindestens 3 Jahre in Fass und Flasche reifen konnten. Die Weine wurden dieses Mal nicht als Blindprobe, sondern offen und mit Mahlzeit serviert. Für die tollen Fotos zeichnet sich mein Cousin Fredi verantwortlich – andere ins rechte Licht gerückte Subjekte könnt Ihr auf seiner Fotoseite bewundern.
2013 Exedra, Domaine Puiggros, Catalunya.
Als Einstiegswein habe ich eine Nicht-Reserva gestiftet, die quasi als frischer, jugendlicher Start in den Abend fungieren sollte. Der sympathische Winzer Josep Puiggros liefert mit seinem Exedra einen ganz erstaunlichem Wein. Insofern erstaunlich, da er naturnah mit wenig Schwefel und in der Amphore ausgebaut wurde, aber dennoch blitzsauber mit brillanter Frucht und ganz ohne “Störfaktoren” daherkommt. Der Grenache, in der Frucht eigentlich eher zu dunklen Beeren tendierend, zeigt sich hier in seiner rotbeerigsten Form. Dazu überzeugt der Wein mit einer schönen Struktur bestehend aus samtigen Tanninen und einer erfrischenden Säure. Auch der gewisse “wilde” oder “ursprüngliche” Touch drückt sich über Struktur und Geschmack ein Stückweit aus. Ein Wein, der meiner Meinung deutlich mehr Wert ist als 9 bis 14 Euro. +
2010 Osculum Reserva, Ribera del Duero
Gleich im Anschluss erwischen wir eine Reserva, die aufgrund der Statur auch deutlich später in der Weinreihenfolge hätte probiert werden können. Einige der darauf folgenden Weine steckt er nämlich locker in die Tasche. Wobei das nicht heissen soll, dass der Osculum ein disproportionierter Kraftprotz ist (wie der hier), vielmehr zeigt er sich als ein harmonischer Ribera mit einem leicht wilden Touch. Mir gefällt, dass hier offensichtlich an der amerikanischen Eiche (oder an derem Toasting) gespart wurde und die oft sehr aufgesetzt wirkenden Vanillenoten komplett wegfallen. Das Tannin ist noch präsent, aber auch kein Hindernis für einen sofortigen Genuß. Kleiner Abzug: Die für einen Ribera im Mittelmaß liegenden 14% Alkohol fallen überraschenderweise durch eine leichte Hitze im Abgang sowie einer etwas brandigen Nase auf (vor allem im Vergleich zum vorigen Wein). Nicht desto trotz, auch in einer späteren Rückprobe stellt sich heraus: Dies ist eine ganz feine Reserva – typisch Ribera, mit schönen schwarzbeerigen Noten und einem Hauch Würze. Im Abgang drückt sich die Würze auch durch leicht bittere Noten von Lorbeer und Leder aus. +
2009 Vina Alberdi Reserva, La Rioja Alta
Der Vina Alberdi Reserva stammt aus dem breiten Sortiment des Traditionshauses La Rioja Alta und wird als Rioja klassischer Machart angepriesen, der eher “oldschool” als modern erscheinen soll. Was dies bedeutet, merkt man schnell. Zunächst, wie bei fast jedem Rioja, sind die Vanilleanklänge amerikanischer Eiche erkennbar. Ein Merkmal, dass sich gleichermaßen durch moderne und klassische Weine zieht. “Oldschool” bezieht sich beim Vina Alberdi viel eher auf die Säure und den Körper. Die Ränder sind heller, der Alkohol etwas niedriger und die Säure höher (und dies liegt in dem Fall nicht an einer Beisteuerung der Rebsorten Graciano oder Mazuela – es handelt sich um einen 100%igen Tempranillo) was im Endeffekt zu einer hohen “drinkability” führt. Oder wie Mittrinkerin Xenia es formuliert, “der rutscht so durch!”. Den geringen Widerstand beim Trinken kann man gut über das Wort homogen erläutern, den tatsächlich zeigt sich der Wein bei aller Geschmeidigkeit auch wie aus einem Guss. Tannin ist, wenn überhaupt, nur ganz leicht spürbar und so steht dieser Wein mit seinen schönen Beerennoten, die eher in Richtung Erdbeere gehend, für “Easy drinking” auf hohem Niveau und gibt auf jeden Fall einen super Essensbegleiter. +
2006 Marques de Riscal Reserva, Rioja
Marques de Riscal? Schon mal gehört? Mit Sicherheit. Denn als einer der Big Player auf dem globalen Weinmarkt sind die Weine zumindest in Spanien in jedem Supermarktregal zu finden; was natürlich keine Wertung darstellen soll. Vielleicht ist es auch eher dem Jahrgang geschuldet, dass diese Reserva nach den beiden vorigen Weinen eher als schlank und schüchtern wahrgenommen wird (vielleicht war auch die Reihenfolge falsch). Er ist “etwas schwach auf der Brust”, sagt Philipp, und trifft den Nagel auf den Kopf. Unangenehm zu trinken ist er dennoch nicht. Mir gefällt die kräftige Säure, die ihn dann doch zu einem sehr schönen Essensbegleiter macht. Die Nase ist ordentlich, die Frucht geht auch am Gaumen dann ins rotbeerige. Doch als besonderes Weinerlebnis prägt sich dieser Rioja dann doch nicht in unser Gedächtnis ein. Er reisst am Gaumen dann auch plötzlich ab, als ob der eben genommene Schluck in einer einer Falltür verschwindet, bevor er den Rachen runtergeht. –
2006 Baron del Cega, Valdepenas
Es wird nun etwas parfürmierter. Dieser Tempranillo aus der Mancha springt förmlich aus dem Glas mit viel süßer Frucht und noch mehr Vanille – für meinen Geschmack deutlich zuviel. Dazu ist noch eine leichte Playmobilnote spürbar, die den Wein vielleicht noch ein bisschen interessant macht. Der Wein zeigt sich insgesamt harmonisch und wirkt erstaunlich jugendlich, ist in seiner gefällig modernen Machart (Marmelade + Vanille) aber auch extrem beliebig. –
2004 Reserva de la Familia, Finca Coronado, Castilla
Diese mächtige Cuvée mit allerlei Rebsorten (Cabernet, Syrah, Merlot, Tempranillo, Petit Verdot) aus der Region Castilla hat in der Runde viele Freunde gefunden. Klar, es ist ein “Maul voll Wein”, der über die Fülle kommt. Andererseits zeigt er aber auch wenig Fokus: Cuvées dieser Art gibt es auf der ganzen Welt, und bieten letztendlich nicht viel Raum für das ominöse Terroir. Heisst: Sie können zwar schmecken, sind sich aber meist recht ähnlich. Insgesamt wirkt der Finca Coronado schwarzbeerig und leicht süßlich. Die Nase wird leider durch eine deutliche Uhu-Note gekennzeichnet. –
2009 Mas Perinet +, Mas Perinet, Priorat
Zurück nach Katalonien, dieses Mal aber an die steilen Hänge des Priorat, südlich von Barcelona. Es ist eine Gegend, die in den letzten 15 Jahren extrem gehyped wurde, oft zu Recht. Das im Örtchen Cornudella de Montsant ansässige Weingut Mas Perinet (sofern dieses noch existiert) hat in dieser typischen Priorat-Cuvée die Rebsorten Grenache, Syrah und Carignan vermengt. Im Alkoholgehalt sind wir mit 15% gleich eine Stufe höher als beim vorigen Wein, allerdings fällt dies nicht negativ auf, denn der Alkohol ist perfekt eingebunden und lässt den Wein nicht brandig wirken. Denn der Mas Perinet + ist bei aller Power ein Wein mit großer Strahlkraft. Die Syrah-Traube stellt mit seinen hellen, violetten Tönen in der Mitte des Gaumens den Dreh- und Angelpunkt des Weins dar, lässt alle anderen Elemente um sich kreisen. Die Frucht zeigt sich vielschichtig mit Pflaume, Kirsche und rote Beeren und ist in einem eleganten und sehr geschmeidigen Körper und einer Struktur aus feinpulvrigem Tannin eingebettet. Ein Priorat, der sich sehen lassen kann. +
2002 El Vinculo Gran Reserva, La Mancha
Der von Starwinzer Alejandro Fernández in der Mancha gekelterte El Vinculo ist ein rundum schöner Wein, da war sich die Runde einig. Trotz seines Alters erscheint der Wein blutjung, mit strahlender Frucht, welche am Gaumen durch eine präsente Säure unterstützt wird. Die vielschichtige Frucht wird dominiert von Zwetschge (Aachener Pflümli) und Himbeere. Der Wein ist offensichtlich unfiltriert, hat eine starke Trübung, was für mich aber das Geschmackserlebnis eher erhöht als mindert. Vanillenoten sind nur ganz leicht vernehmbar. Das Tannin ist sehr präsent, aber in seiner feinen Beschaffenheit sehr angenehm und ebenso gut eingebunden. Eine wilde, fast animalische Note bringt eine schöne Portion Würze in den Wein. +
1996 Palacio d’Argento
Um es kurz zu machen: Der Wein hatte kork. Doch es war wohl kein großer Verlust. Denn was unter den Korkschwaden zu vernehmen war, deutete darauf hin, dass der Wein seine besten Tage längst gesehen hatte.
2007 Vietor & Leon Gran Reserva, Rioja
Der Vietor und Leon zeigt sich nach dem fülligen El Vinculo eher als eine etwas bravere Gran Reserva. Er ist Sicherlich etwas präsenter als der Marques de Riscal vorhin, schwimmt mit einer leichten Teernote auch angenehm gegen den Strom der absoluten Klassik. Dennoch ist der Wein nichts, wovon man seinen Enkelkindern erzählen könnte.
2003 Vina Tondonia Reserva, Lopez de Heredia
Das traditionsreiche Weingut Lopez de Heredia trifft zunächst insofern immer meinen Geschmack, da es auf neues Holz verzichtet. Schön ist auch, dass die Weine unfiltriert abgefüllt werden und somit auch ein Stück ursprünglicher wirken. Zugegebenermaßen werden hier viele Merkmale erfüllt, die eher Weinfreaks frohlocken lassen und für Mainstreamtrinker eher ungewohnt sind. Doch zumindest fällt in diesem Wein die für Lopez de Heredia berühmte Dillnote, die ich zuletzt auch beim 2002er hatte, aus. Jedoch ist ein gewisses ätherisches Kräuterfeel nicht von der Hand zu weisen. Dem sehr heissen Jahrgang 2003 ist es wohl auch geschuldet, dass die sonst eher ruppige und wilde Art des Tondonia etwas glattgebügelt wurde. Der Wein fühlt sich homogen und sanft an, ist ohne Widerstand zu trinken und überzeugt im Abgang mit aromatischer Präsenz und einer tollen Länge. Im Vergleich mit den beiden vorherigen Rioja auf jeden Fall mein Favorit. +
2000 Matarromera Gran Reserva, Ribera del Duero
Nun wieder der Sprung an den zweiten spanischen Fluß, der für Weinliebhaber wichtig ist, den Duero. Die Gran Reserva des Spitzenweinguts Matarromera offenbart elegante Röstnoten, etwas Mokka, dazu noch Beeren und einen Hauch Speck. Das ist alles sehr fein und wohl auch die bisher komplexeste Nase der gesamten Probe. Am Gaumen zeigt sich vornehmlich schwarzbeerige Frucht, Brombeeren etwa, und eine an Lorbeerblatt erinnernde Würze, die im Abgang auch leicht bitter wirkt. Leider merke ich bald, dass der Wein einen schleichenden Korkfehler hat, der ihn langsam aber sicher vereinnahmt. Unglaublich schade, denn was man anfangs vernehmen konnte, war ganz großes Ribera-Kino. ++
2001 Castillo Ygay Gran Reserva Especial, Marques de Murrieta
Marques de Murrieta ist – ähnlich wie Marques de Riscal – nicht weniger als ein Weingut industriellen Ausmaßes. Im Glas haben wir nun jedoch das absolute Premiumprodukt des Hauses und dazu noch aus einem absoluten Spitzenjahrgang. Ohnehin wird die Gran Reserva Especial nur in den besten Jahrgängen produziert, zuletzt in 2007, 2005, 2004, 2001 und 2000. Den 2001er hatte ich schon mehrfach im Glas, fand ihn aber zuletzt etwas müde und enttäuschend. Umso überraschter war ich, dass dieser sich in bestechender Form befand. So gut wie heute hatte ich ihn noch nie im Glas!
Dieser Ygay verkörpert die ganze Eleganz eines Riojas. Er drückt in Perfektion das geschmackliche Understatement, die schlanke Eleganz dieser Region im Vergleich zu den “dicken” und muskulösen Ribera Weinen aus. Andererseits ist dieser Wein auch so präsent und lebendig, wie ich ihn nie erlebt habe. Die Frucht strahlt in ihrer Klarheit und Vielschichtigkeit, dass man meint jede Walderdbeere einzeln zu schmecken und auch die beigemischten Brombeeren präzise erkennen zu können. Die unterschwellige Säure vibriert wie das Stahlseil einer Gondelbahn und lässt die Aromen auf dem Gaumen tanzen. Die Kraft des Weins scheint gebündelt, was zur Contenance der Rioja-Eleganz passt. Das Ganze wird abgerundet durch tertiäre Noten wie Schokolade und Gewürze, die für eine schöne Komplexität sorgen. Es handelt sich hier unverkennbar um eine Ikone des Rioja-Gebiets. ++
1999 Pesquera Gran Reserva, Ribera del Duero
Diese Abfolge von Rioja und Duero Weinen ist wunderbar, um die stilistischen Unterschiede zwischen den Regionen festzustellen. Zwar verkörpert der Pesquera eher einen modernen Ribera-Stil, doch nicht in einem Ausmaß, welches die Herkunft maskiert. In der Nase zeigt der Wein kräftige Noten von Schwarzbrotkruste, vermengt mit dunkler Frucht wie Brombeere oder Pflaume und einem Hauch Würze. Am Gaumen zeigt sich ein stoffiger, fülliger Wein, der im Vergleich zum Vorigen Wein deutlich mehr in die Breite geht, jedoch ohne dabei plump zu wirken. Der Wein hat eine schöne Präsenz und auch eine gute Länge, ist jetzt überhaupt in einer tollen Phase. ++
1975 Valbuena 5 , Bodegas Vega Sicilia, Ribera del Duero
Unglaublich aber wahr! Dieser 1975er steht im Glas wie eine eins. Klar kommt der aus gutem Haus, doch das war bei älteren Weinen bisher nie eine Garantie. Der Wein zeigt noch brillante Frucht, schafft es eine ganze Stunde lang keine Alterungstöne zu zeigen. Sogar das Tannin ist noch präsent und deutet noch weiteres Alterungspotential an. Der Valbuena, der Zweitwein des berühmten Vega Sicilia ist ein wohlgeformter Monolith aus Frucht, Wärme und Würze, der uns aufzeigt, wie elegant ein Duero-Wein sein kann. Es scheint als ob sich Rioja und Duero im Alter stilistisch annähern. Selbst Mittrinker Nick, der eigentlich kein Freund des Altweintrinkens ist (er sei ja nicht nekrophil) attestiert diesem Wein Trinkbarkeit und Genuß. ++
Vielen Dank an alle Beteiligten dieses wunderbaren Abends, vor allem an Oskar, der jetzt immerhin etwas mehr Platz in seinem Weinkeller hat. Ich freue mich auf eine Neuauflage!