Wollten Sie schon immer mal erleben, dass in einem Menü jede einzelne Zutat auf den Punkt genau gegart wurde? Dann sollten Sie das Restaurant Reinstoff von Küchenchef Daniel Achilles besuchen. Das perfekt beherrschte Handwerk hat mich hier zutiefst beeindruckt. Ob Fisch, Fleisch oder Krustentiere – alles kommt im optimalen Zustand auf den Teller, wurde keine Minute zu lange und keine zu kurz den entsprechenden Temperaturen ausgesetzt.
Natürlich ist die Küche nicht nur Handwerk, sondern auch Kreativität. Diese drückt sich durch unerwartete, teils faszinierende Kombinationen aus. Auch zur Würzung werden einige überraschende Zutaten wie zum Beispiel Kiwi eingesetzt. Aber es stellt sich zuweilen auch der Eindruck ein, dass die sehr minutiös erarbeiteten Kompositionen etwas zerfahren oder überlastet sind, so dass die Rolle mancher Komponenten nicht ganz einleuchtet. Diese stechen entweder nicht genug hervor oder verschwinden hinter der Intensität anderer Zutaten.
Die Stimmung im leicht abgedunkelten Restaurant ist gediegen. Der Raum wirkt zugleich modern und elegant. Das Reinstoff ist mit Sicherheit auch der perfekte Rahmen für ein Date oder für en Jubiläum. Es stehen 2 Menüs zur Auswahl; gewählt haben wir das Menü “Weiter draussen” mit 7 Gängen für je 154€.
Eine ganze Batterie von Amuse Bouches erreicht unseren Tisch. Diese sind detailreich und minutiös arrangiert und zeigen sich schön verspielt. Das feine grüne Pulver welches den Lachswürfel überzieht, entpuppt sich als Dill. Eine klassiche Kombination also, die hier sehr elegant und harmonisch schmeckt. Eine Verbindung aus Gurke, Brokkoli und Mandel hat ein bisschen was von einem Müsliriegel, schmeckt deswegen aber nicht schlecht. Ein Gebilde aus Parmaschinken, Eiweiss und Eigelb, abgelegt auf einem Parmesancracker kann aufgrund der evergreen-Kombination gar nicht schlecht schmecken (im Gegenteil). Und eine Mini-Tartelette mit Kichererbsen entpuppt sich als kleines Wunderding. Der Teig ist schön locker und die Füllung erhält durch eine schmackhafte Vinaigrette eine sehr angenehme frische Note.
Kalmar-Cocktail – Kiwi und grüner Wachholder, Zitronenblatt-Öl, Salicorn-Vinaigrette. Was hier sofort auffällt ist die perfekte Garung der Kalmare. Diese haben Biss und sind gleichzeitig zart. Da sie in feine Streifen geschnitten sind und sozusagen als “Kalmar-Nudeln” auf dem Teller liegen, ergibt sich die Vermischung mit den weitere Zutaten ganz von alleine (unweigerlich muss ich sofort an eine Kalmar-Spaghetti Gericht denken, dass ich im Athener Sternelokal Varoulko vor genau 10 Jahren serviert bekam: “Calamari Pesto”, hier beschrieben, leider ohne Fotos). Der Einsatz der Kiwi, welche auf kongeniale Art und Weise Säure einbringt und des Salicorne, welches für einen satten Biss, für Struktur und Frische sorgt, ist einfach wunderbar. Ein Geniestreich. Das Ganze zeigt sich süffig, erfrischend, wohltuend. Ein grandioser Einstieg!
Eingelegte Heringe, gefrorener Rettich, Eiszapfen und Salatherzen. Es erreicht uns erneut ein kleines Kunstwerk. Das detailverliebte Arbeiten mit den Zutaten zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gänge des Reinstoff. Nach dem eher aus wärmeren Gefilden stammenden Kalmar haben wir nun eher das deutsch-rustikalere Fischgericht als Thema. Der Hering schmeckt ganz typisch zart und leicht säuerlich. Ein tolle Idee ist es in diesem Zusammenhang den Geschmack des Rettichs über ein Eis abzusondern. So wird gleichzeitig das Säuerliche des Herings abgemildert und die Schärfe des Rettichs durch die Kühle etwas gepuffert. Es wird in meinem Kopf die Analogie der “Kühle des Meeres” von der Nord- oder Ostsee hervorgerufen – schön, wenn solche Bilder entstehen – denn dann wird Essen zu Kunst. Nüchtern betrachtet ergänzen sich hier die säuerlichen und fein herzhaften Noten ganz wunderbar. Ausserdem bringen Radieschen und Rettich Struktur und Frische rein.
Buchweizennudeln, Champignon de Paris, Patersilie, Duxelles in Brühe. Ein kleines Gericht zum Zurücklehnen und Wohlfühlen. Die leicht erdigen Töne des Buchweizens verbinden sich perfekt mit dem Pilzaroma. Ein Comfort-Food Gericht mit vielen Details – auch hier wurde gekonnt mit der Pinzette hantiert. Die Petersilie steuert eine grüne Frische, bzw eine leicht pfeffrige Note bei. Auch die Texturen zwischen cremig und knusprig lassen einen schönen Spannungsbogen entstehen.
Kohlhasenkrug, hausgemachter Kaninchenschinken, Spitzkrautknospen und Whisky. Sobald ich Eigelb auf dem Teller sehe, bin ich auf ein schlotziges Gericht eingestellt. Dies stelllt sich auch ein Stückweit ein. Nur das Stück Brioche oder armer Ritter wirkt etwas überdimensioniert und plump neben dem feinen Kaninchenfleisch. Insgesamt wirkt der Teller etwas überladen mit Zutaten, so dass man die Facetten nicht differenziert genug schmecken kann. Ein schmackhaftes Gericht ist es auf jeden Fall.
Nagelrochen Königsberger Art. Röstzwiebeln, Spinat, Holunderkapern und kartoffel. Erneut haben wir einen Gang, der die Beherrschung des Handwerks glanzvoll erstrahlen lässt. Bei Fischgerichten fällt dies besonders auf. Auf dem Teller liegt ein Stück schlichtweg perfekt gegarter Rochen. Mit leichten Röstnoten, mit zartem Biss, innen dennoch glasig und saftig. Einfach wunderbar und natürlich eine tolle Idee diesen Fisch mit einer herzhaft süffigen Sauce zu begleiten. Die Kapern mit Ihrem etwas weinig-säuerlichen Touch passen sehr gut zu den Röstnoten des Fischs. Ein zweites großes Highlight nach dem Kalmar-Cocktail.
Oosterschelder Hummer. Schere und frittiertes Gelenk, Corail, Eisbein. Der Hummer wird bei Daniel Achilles in 2 Teilen serviert, wobei beide Gänge Elemente von “Surf and Turf” enthalten. Die Hummerschere ist erneut optimal gegart und darf sich mit ein paar Scheiben Eisbeinschinken vergnügen. Es schmeckt gut, wobei das Gericht etwas Rustikal anmutet.
Hummer, Blumenkohl, Schweineschmalz, Grieben und Quitte. Der zweite Teil erscheint optisch weniger rustikal. Eine sehr großzügige Portion erneut perfekt gegartes Hummerfleisch nistet sich zwischen schneeweissen Blumenkohl-Spänen und Quittensticks. Das Hummerfleisch ist Bissfest und butterzart. Dazu erstrahlt vor allem der intensive Jus, hinter dem die anderen Elemente auf dem Teller schwinden und ausser dem strukturgebenden Biss des Blumenkohls fast überflüssig sind.
Epoisses de Bourgogne mit Szegediner Kohl und Gulaschgewürz. Ein Stückchen fettig gebackenes Langosch wird zum cremigen Epoisses serviert. Und wie Langosch halt so ist, wirkt es etwas zäh-elastisch. Die Ungarn-Thematik wird dann mit Paprikacrème auf die Spitze getrieben. Es schmeckt gut, ist vielleicht etwas zu deftig als Abschluss nach all den Gängen.
Litschi. Kleine Eiswaffel. Litchi, Mangostane, Sesam und Wasabi.
Mignardises
Das Weinangebot muss unbedingt erwähnt sein. Es gibt hier einige Kleinode aus Deutschland und Spanien auf der Karte. Ein Kabinett-Riesling des Weinguts Weiser-Künstler von der Mosel hat einige Gänge optimal begleitet. Richtig angetan war ich dann allerdings von einem Probierschluck von “Hommage à Robert”, ein fantasischer “Vin Naturel” von der Rhône.
Das Fazit zum Essen fällt durchweg positiv auf. Zum perfekt ausgeübten Handwerk habe ich schon einige Worte verloren. Was die Kompositionen angeht, habe ich den Eindruck, dass noch viel mehr möglich ist. Ich kann mir vorstellen, dass es ein Weg wäre an der Reduktion der Zutaten zu arbeiten, um noch klarere und fokussiertere Bilder auf die Teller zu zaubern. Dem Meister kommen offensichtlich sehr viele gute Ideen zu den einzelnen Zutaten und möglichen Verbindungen von Aromen. Und bei so viel erkennbarem Talent kann man optimistisch sein, dass der Weg für Daniel Achilles und das Reinstoff nur weiter nach oben geht.
Restaurant Reinstoff
10115 berlin
Di bis Sa, ab 19 uhr